Dienstag, 2. Juni 2009

Ich krieg' noch ein Magengeschwür...

Ich bin kürzlich über einen Artikel auf netzpolitik.org gestolpert, der einen ziemlichen Magensäureschub bei mir ausgelöst hat. Da kommen irgendwelche Vereine her und verlangen zwecks Kinderpornographie-Bekämpfung -- anstatt sich einmal wirklich mit dem Thema auseinanderzusetzen -- bessere Sperrmaßnahmen gegen Kinderpornographie im Netz als die, die von der Laiens Gesetzesentwurf vorsieht. Und sie fordern, den Kindesbegriff generell auf jede Person unter 18 auszudehnen; damit wäre dann sofern man sich an das in diesem Zusammenhang gern als Vorlage zitierte UN-Geseier hält jede auch nur vage sexuell orientierte Darstellung Minderjähriger, egal in welchem Medium, verboten. Sprich, ein 18-jähriger Hobbyfotograph macht ein künstlerisches Aktfoto (meinetwegen nur Torso, und im Gegenlicht) von einer damit absolut einverstandenen 17-jährigen Freundin, die sogar noch die Erlaubnis ihrer Eltern eingeholt hat, stellt es zu seinem restlichen Portfolio ins Netz, und wäre damit Kinderpornograph. Lady Chatterley und Fanny Hill in Buchform wären Kinderpornographie, ebenso wie jeder Film, in dem eine Minderjährige auf dem Weg ins Bett mit nacktem Oberkörper kurz durchs Bild hüpft (etwa die berühmt-berüchtigte "Tatort"-Folge "Reifezeugnis" mit Nastassia Kinski). Die meisten Mangas wären Kinderpornographie. Kid Rocks "All Summer Long" oder Meatloafs "Paradise by the Dashboard Light" -- Kinderpornographie.

Wie krank ist das denn? Ist mir egal, ob das aus einer UN-Empfehlung oder irgendwelchem wie üblich sinnlosen EU-Geblubber kommt: welcher bereits halb scheintote, moralinsaure Vollpfosten auch immer sich das ursprünglich ausgedacht hat, schießt hier doch etwas über das Ziel hinaus. 16- oder 17-jährige sind vielleicht noch nicht völlig erwachsen, aber Kinder sind sie auch nicht mehr. Sie können Verantwortung für sich und andere übernehmen, und haben ein Recht auf ihre eigene Sexualität. Und man kann das "beschützen wollen" auch übertreiben.

<Einatmen, Ausatmen ... Polieren> Free Smiley Courtesy of www.millan.net

Mich deucht, von all den Argumenten der Sperrgegner ist vor allem eines bei den Befürwortern angekommen: die Sperre wäre u.a. unwirksam, weil sie so leicht zu umgehen ist, dass selbst Fritzchen Doof das mit zwei offensichtlichen Google-Suchen hinbekommt (eine darüber wie man Internetsperren umgeht, und eine nach einem freien DNS-Server). Das geht natürlich nicht! Sie wollen ja kontrollieren was man im Internet sehen darf, da kann man es den vermaledeiten Abweichlern von der Regierungslinie ja nicht so einfach machen. Da man sein eigenes Pulver schon verschossen hat, lässt man eben seine Hosentaschen-Lobby nachfordern. Die vorgeschlagenen Dinge sind immer noch umgehbar, aber man muss schon deutlich mehr Aufwand reinstecken ... von daher würden diese Maßnahmen wahrscheinlich einen Run auf VPN-Anonymisierungsdienste und dergleichen auslösen (ist die simpelste Umgehungsmöglichkeit -- und eigentlich auch die ultimative). Und dann sind wir an einem Punkt, an dem praktisch keine Strafverfolgung im WWW mehr möglich ist... herzlichen Glühstrumpf, ihr Spakken; schießt Euch selbst ins Knie. Was kommt als nächstes ? Das Internet abschaffen?

Der Rest der Argumentation der Gegner dieser Sperren wird weiterhin ignoriert, als irrelevant abgetan, oder veralbert (als wären etwa die Bedenken hinsichtlich der Anwendbarkeit der Sperrmaßnahmen auf andere Themen als KiPo völlig albern und aus der Luft gegriffen). Wir alle sind durch die Bank überkandidelte Verschwörungstheoretiker, und wahrscheinlich sogar schwer pädokriminell, denn wir gehören größtenteils zu den vielzitierten 20%, die diese Sperren umgehen können. Liebe Frau von der Laien, der Prozentsatz liegt eher bei 95% aller Internetbenutzer, genug Interesse vorausgesetzt. Sind die alle pädokriminell? Und was ist das eigentlich für ein Wort? Der Duden kennt es jedenfalls schon mal nicht. Ein dreifach Hoch auf die sprach- und sonstige Gombedenz (oder so ähnlich) unserer Politik.

Hier noch einmal eine Zusammenfassung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit, und sorry, ich habe keine Lust die Links dazu noch einmal herauszusuchen... siehe andere Posts in diesem Blog und auf jeder x-beliebigen Seite, die sich mit ähnlichen Themen befaßt):
  • das Gesetz wäre grundgesetzwidrig und verfassungsfeindlich
  • die Art und Weise wie die Sperrlisten vom BKA erzeugt und verfolgt werden sollen verstößt gegen Grundprinzipien der Demokratie wie etwa die Gewaltenteilung, und ist nicht kontrollierbar
  • die Gefahr eines Mißbrauchs der Sperren zwecks Zensur ist sehr hoch. Es kann keine Rede davon sein, dass in den Ländern, in denen ähnliche Sperren heutzutage schon implementiert sind ausschließlich kinderpornographisches Material gesperrt wird, wie das so gerne von Befürwortern behauptet wird, auch wenn das die (vielleicht) ursprüngliche Intention war. Im Gegenteil, in den meisten Fällen waren > 90% der gesperrten Seiten absolut legal und hatten nicht einmal unter Anwendung der obigen kranken Definition von Kinderpornographie auch nur Ansatzweise etwas mit KiPo zu tun; das Sperren kritischer Seiten u.ä. ist an der Tagesordnung; in Australien war anscheinend gar die Website einer auf Kinder spezialisierten Zahnklinik -- warum auch immer -- auf der Sperrliste. In Italien sind knallharte wirtschaftliche Interessen dahinter: ein ziemlich großer Teil der gesperrten Seiten haben nichts mit KiPo zu tun, sondern mit Online-Glücksspiel. Noch dazu ist hierzulande kein Weg vorgesehen, wie eine zu Unrecht gesperrte Seite wieder "entsperrt" werden könnte. Die Beamten, die definieren was sperrwürdig ist sind genauso Menschen wie jeder andere auch, sie haben ihre eigenen Vorurteile, und diese werden zwangsläufig beeinflussen was gesperrt wird. Ein homophober oder auch nur von abstrusen ultrachristlichen Moralvorstellungen stark geprägter Beamter wird Gay-Porn Sites abstossend finden und sie sperren, auch wenn sie nicht illegal sind. Und wenn derjenige etwas gegen Gartenzwerge hat, wird er Seiten mit Gartenzwergen sperren. Ihn kontrolliert ja niemand. Und da wäre dann noch das Problem mit Befehlen "von oben", die ihn anweisen irgend etwas auf die Sperrlisten zu setzen.
  • die Sperren verhindern, auch laut offiziellen Stellen in Ländern die das heute schon praktizieren, in keiner Weise die Erzeugung, Verbreitung oder den Konsum von KiPo. Es kann keine Rede sein von "erfolgreichem Einsatz" in anderen Ländern; da werden zwar "Clicks" abgefangen, aber niemand weiss woher die kommen (Suchmaschinen, z.B.?), und weder verringert sich die Anzahl der Seiten, noch erfolgt sonst irgendeine Reaktion. Mal davon abgesehen, dass ja ein großer Teil der abgefangenen Clicks nicht auf KiPo-Seiten zugreifen, weil eben 90% der gesperrten Seiten nichts mit KiPo zu tun haben. Vor diesem Hintergrund von 50.000 Clicks am Tag zu reden ist schlicht ebenso unlauter wie der Bevölkerung zu suggerieren, dass da ein Massenmarkt existiert. Wenn dem so ist: wo bitte sind die Untersuchungen, die das belegen? Da kommt aus Regierungskreisen sowie von den sie umkreisenden Befürwortern nichts ausser unbelegten, nicht bewiesenen und teilweise schlicht unhaltbaren willkürlichen Zahlen.
  • man kann sich unabsichtlich und unbemerkt strafbar machen, indem irgendwer auf irgendeiner Website geeignete Maßnahmen plaziert, die dann im Hintergrund auf einen gesperrten Server zugreifen ... und solche Maßnahmen sind im Web an der Tagesordnung. Da reicht sogar ein 1x1 Pixel großes, unsichtbares GIF-Bild, das vom KiPo Server nachgeladen wird. Nur um das mal völlig klarzustellen: wenn der nette "Tröst"-Smiley oben in diesem Beitrag auf einer gesperrten Seite gehosted wäre, hätte sich der geneigte Leser eben ins Blickfeld der Strafverfolgung gebracht. Und selbst wenn dem nicht so wäre -- dieser Link ist zumindest auf den ersten Blick nicht von dem hier zu unterscheiden, selbst wenn die Url dahinter in diesem Falle eindeutig ist. Und selbst wenn man vor einem Click auf einen Link erst einmal die Url kontrolliert (was wohl in den seltensten Fällen stattfinden dürfte): einer Url sieht man nicht unbedingt an wohin sie führt; www.benjamin-bluemchen.de könnte theoretisch durchaus auf eine KiPo-Seite zeigen.
  • hier soll die Unschuldsvermutung ausgehebelt werden, da die Strafverfolgung gelinde gesagt Schwierigkeiten hat, irgend etwas zu beweisen (siehe Operation Himmel: 12000 Ermittlungsverfahren, die 2008 zu den Laienhaft vielzitierten 110% Wachstum an KiPo-Fällen führen, x Mannjahre Arbeit, weiss der Geier wie hoch der finanzielle Aufwand war ... und das Ergebnis lässt sich soweit Informationen bisher vorliegen mehr oder weniger unter "zippo, zilch, nada" zusammenfassen). Und wie ein harmloser Surfer nach einem halben Jahr noch beweisen soll, dass er nichts "böses" gemacht hat, das weiss kein Mensch. Das BKA steht für wirtschaftliche Schäden durch diese Maßnahmen gerade? Fein, falls sie das tatsächlich durchziehen. Nur: was ist mit dem gesellschaftlichen Schaden durch Rufschädigung, wenn die Polizei wegen Verdachtes auf Besitz von Kinderpornographie vorbeikommt, mit 11 Mann eine Hausdurchsuchung durchführt und die Rechner beschlagnahmt, auch wenn sich hinterher herausstellt, dass der Verdacht unbegründet war -- dieses gesellschaftliche Stigma wird man nie wieder los, auch nicht wenn sich später herausstellt, dass man unschuldig war.
  • es besteht keine Gefahr eines "Anfixens" beim Ansehen solcher Bilder oder Videos, da man die entsprechenden Neigungen entweder hat, oder eben nicht. Man findet als normaler Mensch solche Bilder/Filme nicht plötzlich nach dem dritten Mal anschauen aufregend.
  • es gibt nur recht wenig KiPo im WWW, und das was es gibt sollte man besser komplett entfernen als nur für Fritzchen Doof verstecken -- und das geht auch international, siehe Carechild bzw. die kürzliche Aktion vom AK Zensur. Die weitaus meisten Server dieser Art stehen eben nicht in Tadschikistan, sondern in westlichen Industrienationen -- und das aus einem sehr einfachen Grund: ein Bild- oder noch viel mehr ein Videoportal braucht kräftige Server und eine gute Internetanbindung, und beides ist in Tadschikistan entweder gar nicht verfügbar oder sehr teuer. In Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, den USA etc. dagegen sind solche Server preiswert verfügbar. Und in diesen Ländern ist ohne Ausnahme Kinderpornographie illegal und gesellschaftlich geächtet, also lassen sich solche Seiten im Allgemeinen mit einer eMail an den Abuse-Account des Providers in kürzester Zeit abschalten.
  • das Zeug ist nicht so leicht zu finden, jedenfalls nicht ohne hartnäckige Suche oder Einladung per Spam-Mail; es gibt keinen KiPo-Massenmarkt, schon gar nicht einen, der Millionenumsätze macht.
  • KiPo wird i.A. nicht aus Profitgründen, und nicht für das WWW hergestellt und generell anders vertrieben, daher bringen Sperren nichts um die Produktion zu verhindern.
und last, but certainly not least:
  • Von der Leyens Vorschläge schützen weder Leben noch Gesundheit, und schon gar nicht die Würde der Kinder. Vielmehr gleicht ihr Vorhaben dem Verhalten der Mutter in einer betroffenen Familie, die zwar den starken Verdacht hat, dass sich da irgend etwas seltsames zwischen ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter abspielt, aber es nicht so genau wissen will und deshalb wegsieht. Die Sperren sind wie der Versuch, einen Mantel des Schweigens (a.k.a. Stopschild) über die Dokumentation des Mißbrauchs zu breiten ... seht nicht hin, das ist schrecklich. Und wir reden hier über die Dokumentation des Mißbrauchs, nicht den Mißbrauch selbst. Der geht ungestört weiter. Und selbst die Dokumentation bleibt im Netz verfügbar, nur eben nicht für Fritzchen Doof, der die Sperre als einziger nicht umgangen hat. Besser wäre es, die Server komplett vom Netz zu nehmen, mehr Polizisten mit der Fahndung in diesem Bereich zu betrauen und sie auch dementsprechend auszubilden, mehr Schul-/Kindergartenpsychologen einzustellen und sie und die Lehrer/Betreuer so zu schulen, dass sie Mißbrauchsopfer zuverlässiger erkennen, und zu guter Letzt die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, auf dass sie Alarm schlage wenn irgendwem etwas auffällt (wir leben nun mal leider in einer "Schaut weg"-Gesellschaft). Aber das würde ja Geld kosten, für Informationskampagnen, neue Beamte, neue Psychologen etc. -- das KiPo-Sperr-Gesetz dagegen kostet die Regierung so gut wie gar nichts (von den paar Beamten beim BKA, die die Listen erstellen abgesehen). Der Rest der Kosten wird auf die Internetprovider, und damit auf deren Kunden -- also uns -- abgewälzt. Und wir sollen da für etwas zahlen, das nicht nur nichts bringt und absolut uneffektiv ist, sondern im Gegenteil kontraproduktiv und potentiell für uns selbst gefährlich.
An sich sind diese Argumente im Vergleich zu "die Sperren sind leicht zu umgehen" die weitaus wichtigeren, und sie sind absolut fundiert. Dennoch werden sie weitgehend ignoriert, zumindest von der Regierung. Und immerhin: diese Regierung hat bereits mehrfach nachweislich gelogen, verschleiert oder ihre Versprechen nicht gehalten (etwa in Sachen Vorratsdatenspeicherung) ... und wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Aber offenbar schaltet das Wort "Kindesmißbrauch" bei vielen Menschen das Gehirn aus, anders ist diese Aktion von Kinderschutzvereinen, Erzieherverbänden usw. nicht erklärbar. Beim Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland e.V. liegt der Fall natürlich ganz anders -- die haben eine andere Agenda. Hm, wäre mal interessant sich anzuschauen wer jeweils im Vorstand dieser Vereine sitzt -- siehe Innocence in Danger (bei dem die Gattin unseres Bundeswirtschaftsministers bekanntlich eine große Rolle spielt).

[Update: ein paar hab ich gefunden... Gerhard Schröders Ehegattin, ein Ex-Staatsekretär von der CDU, jemand der u.a. auch gegen Gewaltvideos und Killerspiele (natürlich aus Tauschbörsen) ist und diese zensieren will ... Nachtigall ick hör' Dir trapsen. Kurz: Lobbymitglieder, und keine deren primärer Focus auf Kinderschutz liegen würde]

Oh brave new world, that has such people in it