Donnerstag, 11. Juni 2009

Ein dreifach Hoch auf Verfassungsgerichte -- oder: "The content industry's caterwauling"

Da sieht man mal wieder wie wichtig ein System von "Checks and Balances" für eine Demokratie ist. In den meisten Verfassungen demokratischer Länder wird man Verfassungsrichter und kann sich danach entspannt zurücklehnen, Legislaturperioden, Lobbyisten und Wahlkämpfe ignorieren und allein nach seinem Gewissen und auf der Basis der Verfassung über die Verfassungsmäßigkeit neuer Gesetze entscheiden. Und das ist verdammt gut so. Die Leute, die diese und andere unter "Checks and Balances" zusammenzufassenden Gegebenheiten in die jeweilige Verfassung hineingeschrieben haben, wussten schon sehr genau warum sie das getan haben, auch wenn das einen Herrn Sarkozy oder einen Herrn Schäuble von Zeit zu Zeit mächtig frustrieren und ihre fundamentale Haltung gegenüber der Demokratie zu Tage fördern mag. Lieber Herr Dr. Schäuble: selbstverständlich hat das Bundesverfassungsgericht das Recht und die Pflicht, sich ihre Ergüsse anzusehen, und wenn sie verfassungswidrig sind, sie
ins Klo herunterzuspülenfür unwirksam zu erklären. Dafür ist es da, und ein dreifach Hoch darauf. Ich will mir gar nicht vorstellen wo wir heute wären, wenn niemand Menschen wie Sie aufhalten würde.

Und ebenso wie das Bundesverfassungsgericht die meisten von Schäubles faschistoiden Entgleisungen kassiert hat (und noch kassieren wird), hat das französische oberste Verfassungsgericht HADOPI (einer Behörde, die die Einhaltung von Urheberrechten im Internet überwachen soll) die Zähne gezogen. Es ist nicht verfassungsgerecht, einem jeden Franzosen nach drei nachgewiesenen Verstößen gegen das Urheberrecht den Internetzugang zu sperren.

Yay! <Strike!>

Viele Reaktionen darauf sind euphorisch, nach dem Motto "war doch klar dass das kassiert wird". War es nicht. Wir können IMHO verdammt froh sein, dass in den Verfassungsgerichten Leute sitzen, die entweder noch wirklich üble Zeiten mitgemacht haben, oder aber in Zeiten studiert haben, in denen es nicht schlimm, sondern normal war "dafür zu sein dass man dagegen ist" und so etwas wie Zivilcourage zu haben. Aber man züchtet ja bereits an der nächsten Generation, und wenn die Richter dann so unkritisch, lethargisch und desinteressiert sind wie große Teile der Bevölkerung heutzutage, dann gute Nacht!

Urheberrecht...

Mal Hand aufs Herz: wer von uns hat nicht schon einmal nach einem neuen Klingelton fürs Handy im Internet gesucht, und es musste ausgerechnet, oh, das aus Kill Bill bekannte "Twisted Nerve" oder Alex Rybaks "Fairytale" sein. Also schaut man nach ob man bei einem der üblichen Verdächtigen das Stück als Klingelton für 99 Ct. bekommt, und falls nicht, sucht man anderswo und wird fündig. Dummerweise begeht man damit einen Verstoß gegen das Urheberrecht. Jeder Blogger, der Inhalte von SPON, der Zeit oder auch nur von Bild Online zitiert, begeht eigentlich einen Verstoß gegen das Urheberrecht, zumindest wenn man den Ideen der jeweils erzeugenden Industrie folgt. Aber ist so etwas wirklich tragisch? In meinen Augen: nö. Das sind Bagatellen. Ist das schlimm für die Industrie? Yep. Ihre althergebrachten Ideen darüber, wie die Welt sein sollte, funktionieren nicht mehr.

Die Musik- und Filmindustrie jammern seit Jahrzehnten über den Untergang des Abendlandes; die Musikindustrie seit der Erfindung der Musikcassette, und die Filmindustrie spätestens seit es Videorekorder gibt. Aber haben sie sich in Jahrzehnten auch nur einen Meter bewegt? Nein -- sie trauern immer noch der Welt der 50er Jahre hinterher, in der die einzige Möglichkeit, ein bestimmtes Musikstück zu besitzen war, eine Schallplatte zu kaufen, und die einzige Möglichkeit einen Film in guter Qualität zu bekommen war, den Donald Duck Cartoon letzten Endes bei Disney zu kaufen. Klar hätten sie diese Zeiten gerne zurück ... aber sie haben 40 Jahre gebraucht, um zu merken dass diese Zeiten wohl nicht zurückkommen werden. Langsam, gaaaanz langsam, öffnen sie sich der Möglichkeit, dass ihre Konsumenten heutzutage etwas anderes wollen als dass was sie anbieten.

Diese Branchen sind die einzigen, die noch nie etwas von "Der Kunde ist König" gehört haben. Sie produzieren etwas, das der Kunde oft in dieser Form gar nicht will, und erwarten dass er dafür ziemlich hohe Beträge bezahlt.

Sicher hat jeder Produzierende von irgend etwas Kreativem ein Mitspracherecht bei der Art und Weise, wie sein Werk veröffentlicht wird, und er soll auch entlohnt werden für seinen Aufwand. Aber Tatsache ist: die meisten Kreativen haben da recht wenig Einfluß. Eine Joanne Rowling kann sich vielleicht damit durchsetzen zu sagen, dass sie ihre Bücher nicht als eBooks sehen will. (ich finde das gerade nicht wieder, aber sie hat das IIRC mal von sich gegeben als "Deathly Hallows" rauskam). Ihre Bücher sind populär genug, dass sie den Buchhändlern auch als Hardcover für 20€ noch aus den Händen gerissen werden -- aber wieviele Autoren von dem Kaliber gibt es? Rowling, Noah Gordon, Dan Brown ... noch ein paar andere in der Kategorie. Neues Buch -- automatischer Verkaufsschlager, egal wie gut es ist. Eine Stufe darunter Donna Leon, Paulo Coelho, Christopher Paolini usw., die zwar nach der Veröffentlichung eines neuen Buches immer noch ab und an Bestsellerlisten anführen, aber nicht dauerhaft darauf vertreten sind. Der Rest hat schlicht keinerlei Einfluß auf die Art der Veröffentlichung und kann froh sein wenn genug davon verkauft wird um davon leben zu können. Mal davon abgesehen, dass Frau Rowlings Sicht der Dinge schlicht dämlich ist. Sie verdient Geld damit, ihre Erzeugnisse an Konsumenten zu verkaufen, und sie sagt letzten Endes, dass sie bestimmen will wie und in welcher Form ihre Erzeugnisse angeboten werden. Hier ist also nicht der Kunde König, sondern der Dorfschreiber?

Meine Frau und ich sind beide bibliophil, und wir haben Harry Potter (bis auf den ersten Band, den ich irgendwem geliehen habe, und ich weiss nicht mehr wem... und das heisst wohl, irgendwann kaufe ich ihn ein zweites Mal) komplett im Bücherregal... zusammen mit einigen Tausend anderen Büchern. Wir haben ein ganzes Zimmer zugestellt mit Bücherregalen. Wir haben auch jeweils etliche hundert legale CDs und DVDs. Es ist einfach ein absoluter Genuss, an einem kalten, verregneten Winterabend auf dem Massagesessel im Wohnzimmer zu sitzen, ne schnurrende Katze auf dem Schoß zu haben, leise Musik zu hören, ein Glas Rotwein zu trinken, Käse oder Chorizo dazu zu essen und ein gutes Buch zu lesen. Nennt das von mir aus Kitsch -- ich hätte gerne noch einen offenen Kamin und ausreichend Brennholz dazu. Und ja, ich lese meine Bücher mehrmals; es kommt einfach nicht genug neues Material das mich interessieren würde heraus, um mich bei Laune zu halten, und ich brauche für einen normalen Roman maximal zwei Abende.

Andererseits bin ich recht viel auf Reisen, und mag daher eBooks; mein Handy ist dank 3,8" Display und Touchscreen ein ziemlich brauchbarer eBook-Reader, und wann immer ich unterwegs bin habe ich automatisch > 300 Bücher dabei. eBooks retten mir so manchen Abend in langweiligen Hotelzimmern. Aber bekomme ich Harry Potter als eBook? Nicht legal. Soifz.

Mehr oder weniger alle meine eBooks sind übrigens legal, entweder gekauft, oder so alt dass sie mittlerweile in der Public Domain sind. Baen Books, der Verlag, der viele meiner Lieblingsautoren Richtung SciFi/Fantasy veröffentlicht, ist eine der rühmlichen Ausnahmen in der Industrie und setzt seit Jahren auf eBooks. Viele ihrer Bücher habe ich sowohl physisch als auch als eBook -- dank vernünftiger Preisgestaltung, und der Einsicht, dass ein eBook, auch wenn nichts dafür bezahlt wird weil es in der Free Library ist oder sonstwie kopiert wird, Werbung für den Autor darstellt... und diese Rechnung geht auf. Ich habe etliche Serien teilweise oder komplett sowohl als eBook als auch physisch, weil ich durch die Free Library, oder die großzügig dimensionierten Probekapitel auch wenn sie nicht in der Free Library stehen, zum Kauf dieses und dann weiterer Bücher aus der gleichen Reihe animiert worden bin. Genau das gleiche ist in Sachen Musik passiert -- es gibt etliche CDs im Regal, die dort nur stehen weil ich irgendwann mal etwas von dem betreffenden Künstler gehört habe und dadurch zum Fan mutiert bin. Klingt für mich nach einem tragfähigen, soliden, modernen, intelligenten Geschäftmodell. Auf jedenfalls intelligenter als öffentlich über die bösen Raubkopierer und das fiese Internet zu jammern und nach Regulierung und Kopierschutzmaßnahmen zu rufen.

Ins gleiche Horn stoßen ja auch die Künstler, die diesen offenen Brief an Angela Merkel anlässlich des vom Bundesverband Musikindustrie initiierten "Tages des geistigen Eigentums" mitunterzeichnet haben. Unter dessen Unterzeichnern gibt es einige Künstler, die sich relativ vehement gegen das unrechtmäßige Kopieren ihrer Werke wehren. Das ist ein Stück weit auch ok. Es ist in manchen Kreisen wirklich eine Kultur eingerissen, in der mag nur kauft was man nicht anderswo bekommen kann. Das gehört bekämpft, sicher. Aber die beste Möglichkeit dazu ist, den Downloadern das was sie wollen legal anzubieten, und zu vernünftigen Preisen.

Ein Künstler wie etwa Udo Lindenberg kann sich tausendmal hinstellen, und erzählen seine neueste CD wäre ein Gesamtkunstwerk -- wenn seinem Publikum nur ein Stück darauf gefällt, und die CD 13.95€ kostet, wird sein Publikum (ausser vielleicht Hardcore-Fans) sie großenteils nicht kaufen. Punkt. Ende der Diskussion. Er kann sich also überlegen ob er etwas verkaufen will, oder eben nicht. Denn ausserhalb absoluter Fans ist der Rest der Welt nicht willens, derart viel Geld effektiv für einen einzigen Track auf der Scheibe auszugeben, und schert sich nicht die Bohne um das Gesamtkunstwerk. Bekäme man das Stück einzeln bei Amazon oder über ITunes für 99Ct., dann würde so mancher sich eher das eine Stück als MP3 (ohne DRM) kaufen, als es zu klauen.



Die meisten Menschen sind lieber ehrlich als Diebe, und die meisten wissen durchaus, dass Raubkopieren zumindest in die Richtung geht (die eigentliche Definition von Diebstahl ist, dass etwas physisch zwischen Besitzer und Dieb überwechselt, und dem Besitzer danach nicht mehr zur Verfügung steht ... und das ist hier nicht der Fall). Was sie dennoch dazu treibt, ist entweder Nicht-Verfügbarkeit als Einzelauskopplung, oder eben überhöhte Preise. Ach ja, und Kopierschutzmaßnahmen. Nichts ist ärgerlicher, als legal Musikstücke einzeln übers Internet zu kaufen, und sie hinterher nicht nutzen zu können. Ich habe das in ein paar Fällen gemacht, bevor mir klar wurde wie krass ein Kopierschutz meine Rechte einschränkt. Ich hätte die Stück damals umkopieren können, aber es war mir damals den Aufwand nicht wert. Heute wünsche ich mir, ich hätte es getan: keines davon lässt sich mehr abspielen -- entweder wegen dem neuen Betriebssystem, der neuen CPU oder dem BIOS-Update. Und das kanns ja wohl nicht sein. Nie wieder kaufe ich irgendwelche Musik mit Kopierschutz. Auch nicht auf CD. Ich will das was ich kaufe auch auf dem MP3-Player oder im Auto hören können, und zwar ohne dass ich die CD mit mir hin- und herschleppe.