Dienstag, 28. April 2009

Jetzt reichts!!!

Nach dem Abschluss der angeblich für den Kampf gegen Kinderpornographie gedachten, aber für diesen Zweck vollkommen sinnlosen Zensur-Verträge mit diversen Internetprovidern, der Planung diesen Dummfug noch vor der Sommerpause in eine (rechtswidrige und demokratiefeindliche) Gesetzesvorlage zu gießen, Schäubles sonstigen Begehrlichkeiten (Vorratsdatenspeicherung / Bundestrojaner / "Mehr Macht dem BKA und Innenministerium" etc.), der Diskussion über das Verbot von "Killerspielen" statt Ursachenbekämpfung bei Amokläufen, und dem sehr seltsamen Prozessverlauf gegen PirateBay ist es jetzt genug -- ich muss endlich mal irgendwo Dampfdruck ablassen; es wird wirklich langsam zu bunt.

Warnung: ich denke, das wird eine Serie von Beiträgen über die einzelnen Themen werden müssen... das ist schlicht zu viel um alles in einen Artikel zu packen.

Wie auch immer: so langsam bekomme ich ob der Einschränkungen unserer Grundrechte, die in den letzten Monaten ohne große Diskussion durch den Bundestag durchgewunken wurden, wirklich, wirklich Angst. Das alles klingt sehr stark nach George Orwell und Aldous Huxley, und nach den Machenschaften diverser Regimes in Deutschland im letzten Jahrhundert.

Es haben zu viele Menschen zu lange gelitten um diese Rechte zu erkämpfen, als dass wir sie jetzt einfach so unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder aus schierem Desinteresse wegwerfen sollten.

Seltsam an all diesen Aktionen unserer lieben Regierung ist nämlich vor allem eines: alle ihre Maßnahmen greifen nur bei Leuten,
  • denen es nicht wichtig ist ihre Identität zu verschleiern oder ihre Daten/Taten privat zu halten weil sie sowieso schon alles in ihrem Leben preisgeben (nennen wir sie mal die Twitters). Exhibitionisten im Internet.
  • die zu bequem dazu sind ("wird schon nichts passieren, ich hab ja nichts zu verbergen")
  • die zu blauäugig sind um zu sehen, dass diese Maßnahmen potentiell uns alle betreffen und welche Auswirkungen da auf uns zukommen könnten (Stichwort Überwachungsstaat)
  • oder die mit einem IQ in der Größenordnung ihrer Schuhgröße "gesegnet" und schlicht zu dämlich sind, auch nur simple, elementare Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Alle anderen können einem Strafverfolger mit minimalem Aufwand das Leben sehr, sehr schwer machen, und wenn sie noch etwas mehr Aufwand betreiben und etwas Disziplin an den Tag legen, dann hat der Strafverfolger schon verloren bevor er anfängt zu ermitteln. Das ist wohl auch der Grund für diese ganzen Umtriebe -- Kontrollverlust; das Dumme für Schäuble & Co. ist nur: daran läßt sich kaum etwas ändern, egal welchen Aktionismus unsere Regierung da an den Tag legt.

Ist doch gut wenn die Polizei Verbrecher verfolgen kann ... oder?!? Ja, bis zu einem gewissen Grad sicher... aber nicht bis zum Aushebeln der Unschuldsvermutung, pauschalem Generalverdacht und letztlich einer vollständigen Überwachung aller. Und das ist genau das worum es gerade geht. Wenn man Verbrecher (wobei dazu anscheinend auch Torrent- und Rapidshare-Benutzer zählen) im Internet fassen möchte, dann geht das nur über eine Infrastruktur, die dann wirklich auch jeden anderen zum gläsernen Bürger macht. Und wir reden hier von Verbrechern, die zu einer der oben genannten Gruppen gehören; bei den cleveren sieht die Sache völlig anders aus. Wie lange es bei diesen Maßnahmen wohl dauert, bis selbst der drögeste, aber nicht gerade zur "zu doof"-Gruppe gehörende Übeltäter sich schlau macht? Und was will man von Staates Seite dann machen? Gegen Bombenbauer hilft eher klassische Polizeiarbeit ("Wozu braucht der Typ eigentlich diese ganzen Chemikalien?") als Überwachung, selbst wenn er sich mit Kollegen im Iran unterhalten hat... wahrscheinlich hat er das eh verschlüsselt getan.

Kinderpornographie, Terroristenverfolgung usw. sind in dieser Sache nur ein Vorwand. Es geht darum, die "Normalos" überwachen und kontrollieren zu können, nichts anderes. Man erwischt die wirklichen Übeltäter heute nicht, und man wird sie auch dann nicht erwischen. Aber man hat die Kontrolle über die Masse zurück.

Tatsache ist: im Zeitalter von VPN, SSH-Tunnels, Anon-Proxies und Anonymisierungsnetzwerken, eMail- und Messenger-Verschlüsselung, virtuellen Maschinen und TrueCrypt sind alle mit vertretbarem technischen Aufwand machbaren Maßnahmen zur "Verbrechensbekämpfung" über das Internet bei ein klein wenig Interesse, einigen Minuten Google-Suche und ein paar Downloads auch ohne vorherigen Sachverstand sehr, sehr einfach auszuhebeln (das kürzeste Video das zeigt wie man etwa um v.d.L.'s Kinderporno-Sperre herumkommt ist keine 30 Sekunden lang, und mit einer solchen Anleitung könnte das auch meine Großmutter).

Und so lange es andere Länder mit anderen Gesetzen gibt, in denen bestimmte "deutsche" Straftaten nicht illegal sind oder zumindest nicht so scharf überwacht werden, und deren Behörden mit den deutschen nicht zu 100% kooperieren, solange ist dem mit irgendwelchen nationalen oder auch EU-weiten Maßnahmen sowieso nicht beizukommen. Agilität ist das Zauberwort. Wenn ich meine Straftaten "anderswo" (d.h. auf Servern im Ausland, die ich anonym miete) begehe, diszipliniert in der Anwendung meiner Gegenmaßnahmen bin, und ab und an die Örtlichkeiten wechsele, wird es fürs BKA *knifflig*, und zwar sowohl beim Nachweis, als auch bei der Verfolgung der Straftat. Es braucht nur ein klein wenig Know-How, etwas Leidensfähigkeit und Disziplin dazu. Ist wirklich nicht schwer, und bei etwas Interesse leicht aufzusetzen. Und wenn mein Leben, meine Freiheit oder auch nur die Erfüllung meines Auftrages davon abhängt, dann bringe ich dieses Interesse auf.

Deutsche Gesetze gelten auch im Internet ? Ja, aber nur für Deutsche, und für Server die in Deutschland stehen. Einem Exil-Russen der in den USA lebt und einen Server für irgend etwas illegales in Hongkong als Front-Site betreibt, und Content-Server in Südafrika, Polen, Kanada und Feuerland benutzt sind deutsche Gesetze völlig schnurz. Mal ganz davon abgesehen, dass man es auch schon schwer mit einem entsprechend eingerichteten Servernetz in Deutschland hat. Und wie geht man damit um, wenn jemand diesen Server ansurft? Hat er das absichtlich gemacht (oder war es ein redirect, ein IFrame oder sonst etwas?). Und es können ja noch 30 andere, legitime Websites auf der gleichen physischen Maschine laufen... da müsste man schon überwachen, welche Daten tatsächlich über die Leitung gegangen sind. Wie man das lösen will ? Ganz einfach, die Beweispflicht auf den Verdächtigen abwälzen.

Das alles ist für die Verbrechensbekämpfung eine dumme Sache, sicher. Aber auf der anderen Seite ein Segen für einen Dissidenten in China, oder einen regimekritischen Blogger im Iran oder Uganda oder Venezuela oder Tibet. Oder für jemanden in einem zukünftigen (und hoffentlich fiktiven) totalitären Regime hierzulande. Der Wert dieser Tatsache für die Gesellschaft überwiegt meiner Meinung nach bei Weitem jedwede Bedrohung durch irgendwelche diffusen Jungs mit schwarzen Hüten. Und man frage sich einmal, wie bedroht man selbst durch Terroristen, Internet-Frauds, Raubkopierer und dergleichen wirklich ist.

Mit dieser leichten Umgehbarkeit irgendwelcher staatlichen Maßnahmen kann man sich arrangieren, abfinden, und versuchen aus der Not eine Tugend zu machen, oder eben auch nicht; die Ansichten und Wunschvorstellungen irgendwelcher Politiker, Unterhaltungsindustrielobbyisten oder Strafverfolger ändern nichts an der Realität. Die Technologien sind da, der Dschinn ist aus der Flasche. Er wird auch nicht in sie zurückkehren. Dennoch wird gerade versucht, die Realität an die Vorstellungen gewisser Leute davon, wie die Realität sein sollte anzupassen, und das ist zum Scheitern verurteilt. In China ist man da schon deutlich weiter als hierzulande, aber auch die dortigen Behörden können nicht verhindern, dass jemand mit der nötigen Motivation ihre Sperren umgeht.

Man hat nur Chancen darauf, Hansi Doof zu fassen. Hansi Doof ist aber nicht gefährlich, und schadet auch niemandem. Auch nicht der Unterhaltungsindustrie. Er ist auch kein Terrorist.

Und wenn Hansi Doof Kinderpornos mag, dann sieht er allenfalls Material aus anderer Leute Mülltonne; die "wirkliche" Kinderporno-Szene arbeitet nicht öffentlich, produziert aber das gesamte Material. Sprich: v.d.L.'s Massnahmen bringen nichts zur Bekämpfung von Kinderpornographie, da man den Produzenten nicht weh tut und ihnen das Leben auch nicht schwerer macht, wie von ihr behauptet wird. Kinderpornographie ist im Internet schon heute nicht so ohne weiteres zugänglich, jedenfalls nicht ohne ziemlichen Aufwand. Seiten, auf denen solches Material gehostet wird findet ein normaler Surfer zufällig eher selten bis gar nicht. Ich kann mich in knapp 20 Jahren Internet nicht an einen einzigen Fall erinnern... sieht das bei Euch anders aus? Zugegeben: ich suche auch nicht nach so etwas, aber das ist ja genau der Punkt: wenn jemand so etwas finden will, muss er Aufwand dazu betreiben. Und einen unzensierten DNS-Server bei seinem Router einzutragen ist erheblich weniger Aufwand als die Suche selbst. Mit solch einer Sperre erreicht man allenfalls einen "aus den Augen, aus dem Sinn"-Effekt. Und das ist so kontraproduktiv wie es nur sein kann.

Warum rege ich mich eigentlich so künstlich auf, wenn es so einfach ist das ganze staatlich verordnete Brimborium zu umgehen?

Weil 97% der Bevölkerung nichts dagegen unternehmen werden und damit einer immer stärker werdenden Überwachung und Zensur des Internets unterliegen. Und das ist in Zeiten, in denen die meisten Menschen unter 50 ihre Informationen entweder aus etwas wie der Bildzeitung (vgl. http://www.bildblog.de), dem (weitgehend staatlich oder zumindest politisch kontrollierten) Fernsehen/Rundfunk oder eben aus dem Internet beziehen, keine gute Idee. Das Internet ist das einzige dieser Medien, dass nicht von irgendwelchen Interessensgruppen kontrolliert wird und letztlich auch nicht kontrollierbar ist. Das sollte einem demokratisch eingestellten Menschen eigentlich sehr kostbar sein, was dann doch Fragen über die Gesinnung von Schäuble und Konsorten aufwirft. Denn mit diesen Maßnahmen kontrolliert der Staat, was diese 97% im Internet sehen dürfen, und was nicht. Und meiner Meinung nach hat er dazu weder die Kompetenz, noch das Recht. Schon gar nicht ohne irgendeine Kontrollinstanz, und ohne Möglichkeit zur Einsichtnahme.

Jeder von uns hat potentiell etwas zu verbergen, wenn andere, auf die man keinen Einfluß hat bestimmen was "verbergenswert" ist. Heute Kinderpornos, morgen eDonkey und bitTorrent, übermorgen youtube, dann Suchen nach Möglichkeiten wie man diese Maßnahmen umgehen kann und dann die Website einer Online-Tageszeitung mit regierungskritischer Berichtserstattung oder die Homepages der Oppositionsparteien. Und, ach ja, ausländische Medien mit einem anderen Blickwinkel. Wikipedia und Amazon dazu; schliesslich lässt sich dort subversives Material finden, und kontrollieren kann man sie auch nicht, sie sind ja in anderen Ländern.

Übertrieben ? Mag sein. Aber auch wenn man unserer Regierung glauben möchte und annimmt dass es ihr aktuell tatsächlich nur um die Verhinderung von Straftaten geht: die Infrastruktur, die da gerade aufgebaut werden soll, ist genau dazu in der Lage, ob das heute umgesetzt wird oder nicht.

Honi soit qui mal y pense?

Es ist absolut sträflich, sich darauf zu verlassen dass hinter dem scheinbar unter Einsatz von Scheuklappen und zugehaltenen Ohren vorangetriebenen Vorpreschen von Schäuble und von der Leyen (Kritik? Gegenargumente? "Unterirdisch"! Werft den Purrschen zu Poten. Kinderschänder! Terrorist!) tatsächlich "nur" Ignoranz steckt, und nicht doch eine ganz andere Agenda verfolgt wird. Denn selbst bei technisch derart vollkommen unbedarften Menschen wie diesen beiden sollten Alarmglocken schrillen wenn ihnen JEDER "Experte" der von der Materie Ahnung hat (Herr Zierke vom BKA zählt da also nicht) sagt dass ihre Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung zumindest wirkungslos und obendrein rechtlich fragwürdig sind -- es sei denn, sie haben ein anderes Ziel.

Versteht mich nicht falsch: ich bin kein Verschwörungstheoretiker. Ich bin kein Terrorist. Ich halte auch nicht Kinderpornos für freie Meinungsäußerung. Ich bin auch nicht für die Abschaffung von Urheberrechten (aber sehr wohl für Realismus und Verhältnismäßigkeit im Umgang damit).

Aber die Maßnahmen die diesbezüglich in Berlin und anderswo losgetreten werden sind
  • ethisch und moralisch zumindest fragwürdig
  • grundgesetzwidrig
  • gefährlich für uns alle
  • angesichts ihres vorgeblichen Daseinsgrunds nicht zweckdienlich, sondern eher kontraproduktiv
Was hier im Gange ist, dient nicht der Bekämpfung von Pädophilen und Terroristen.

Das Internet hat zu einer massiven Veränderung unserer Gesellschaft geführt und sie in zwei große Gruppen gespalten: da wären die einen, die mit dem Internet aufwachsen oder sich zumindest intensiv damit auseinandersetzen, es nutzen und spielerisch damit umgehen können und am liebsten freien Zugang zu jeglicher Information wollen. Und für die es einen ziemlich wichtigen Platz im Leben einnimmt. Und die anderen, die (eigentlich) kein Interesse am Internet haben, sich daher auch nicht darin zurechtfinden und gerade mal eine eMail verschicken und im Browser auf einen Link klicken können, und in der freien und unregulierten Kommunikationsplattform Internet keine Chance, sondern eine Bedrohung ihrer Weltsicht sehen. Denen es etwas unheimlich ist. Diese Leute wollen am liebsten Zäune, Mauern, Ausweise, Sperrstunden und inhaltliche Kontrollen durchsetzen um auch ja zu verhindern, das etwas das ihnen unerwünscht erscheint über das Internet abrufbar ist. Diese Leute tendieren dazu, etwas älter zu sein, oder wirtschaftliche Gründe für ihren Kontrollbedarf zu haben.

Ja, man kann im Internet ungute Dinge finden -- das gibt auch die erste Gruppe zu. Aber wer entscheidet darüber, was von Übel ist? Bei Kinderpornographie hat da niemand was einzuwenden, aber wo hört das auf?

Quis custodiet ipsos custodes ? Wer bewacht die Wächter ?

Das ist ein uralter Spruch mit sooo einem Bart, sicherlich. Aber bisher ist früher oder später noch jeder auf die Nase gefallen, der ihn ignoriert hat. Möglichkeiten zur Kontrolle, die vorhanden sind, werden irgendwann auch für andere Dinge eingesetzt als diejenigen, für die sie ursprünglich einmal gedacht waren.

Was hier im Gange ist, ist nichts anderes als ein weiterer Versuch der zweiten Gruppe (nach der Terroristenhysterie seit 9/11 und der Dämonisierung von Raubkopierern als angebliche Scharfrichter der Unterhaltungsindustrie -- und in beiden Fällen hatten sie nicht genug Erfolg) das Internet in die kleinen, ordentlichen Fächer zu zwängen, mit denen sie geistig umgehen und die sie überschauen können. Es wäre besser, sie suchen nach Möglichkeiten es zu nutzen, aber dazu sind sie anscheinend nicht in der Lage.

Hoffentlich können wir uns irgendwann in der Mitte treffen.