Donnerstag, 14. Mai 2009

Und so fängt es an...

In all den doch recht erhitzten Diskussionen die zur Zeit im Internet und an den Stammtischen zum Thema Kinderporno-Sperren ausgetragen werden, bringen Befürworter der Sperren eigentlich immer die gleichen drei Thesen (ich habe bisher auch soweit ich mich erinnern kann noch keine anderen gehört):
  • klar kann die Sperre von Experten umgangen werden, aber man muß doch irgendwas tun, um die Kinder zu schützen, und als anständiger Mensch gibt man ja wohl zu diesem Zwecke selbstverständlich gerne ein bisschen Freiheit auf. Selbst eine beinah wirkungslose Sperre ist besser als gar keine. Und wenn nur ein Kind gerettet werden kann, hat sich das alles schon gelohnt.
  • wer diese Sperren nicht befürwortet muß wohl pädophil sein, seine persönliche Freiheit über das Wohl unserer Kinder stellen, oder ein Verschwörungstheoretiker sein (das muß man sich sogar in der ersten Lesung zum Thema im Bundestag von Michaela Noll öffentlich um die Ohren hauen lassen. Anmerkung: Ingo Wellenreuthers "Beitrag" war übrigens auch interessant -- der Mann hat offenbar da draussen Statistiken entdeckt, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat <dschumm... die Enterprise fliegt vorbei> ... der KiPo-Markt macht also 5 Mrd. € Umsatz? Wo lebt der Mann eigentlich -- auf ch'Rihan? Und trinkt er den ganzen Tag romulanisches Ale, oder neigt er ganz einfach zu Halluzinationen?)
  • Deutschland ist ein Rechtsstaat und eine Demokratie, und natürlich ist hierzulande kein Mißbrauch solcher Sperrmaßnahmen denkbar. Auch wenn hier die Gewaltenteilung aufgehoben, und die Unschuldsvermutung abgeschafft werden soll. Es macht ja unsere über alle Zweifel erhabene Polizei. Daher ist das alles vollkommen in Ordnung. Und Kritiker sollen gefälligst die Schnauze halten; siehe These 2. Und dann These 1.
  • q.e.d.
Zu These 1: dass die Sperren hinsichtlich der Eindämmung von Kinderpornographie absolut unwirksam sind und kein Kind retten, ganz und gar nicht "nur von Experten" umgangen werden können, und dass der postulierte Kinderporno-Massenmarkt in der von der Regierung vertretenen Form gar nicht existiert, darüber haben sich schon sehr, sehr viele Leute ausgelassen. Ebenso wie über die Tatsache, dass von der Leyen und Konsorten zur Untermauerung ihrer Thesen alle möglichen unzusammenhängenden Dinge in einen Topf werfen, umrühren, das Ganze totkochen und dann so lange auf den Topf eindengeln bis das Ergebnis genausogut einem Origami-Reiher ähneln könnte.

Die zweite These ist schlicht eine Unverschämtheit. Aber sie zeigt wie massiv die Meinungsmache gegen die Gegner dieser Sperren ist, die auch schon erste Wirkungen zeigt: auf epetitionen.bundestag.de kann man ja aktuell eine Petition gegen die Indizierung und Sperrung von Internetseiten mitzeichnen. Das schlimme ist: es gibt doch tatsächlich bereits in einigen Foren Beiträge, die davor warnen, seiner politischen Meinung Ausdruck zu verleihen und diese Petition mitzuzeichnen... und zwar aus Angst vor Konsequenzen, aus Angst davor, ins Blickfeld der Strafverfolgungsbehörden zu geraten! Huh... was ist nur aus Zivilcourage geworden? Das macht mir Angst... was sagt das denn über die Geisteshaltung unserer Gesellschaft aus? Ich finde etwas, das die Politik vorhat, grundfalsch ... und unternehme nichts, weil ich Angst habe? Wo leben wir eigentlich? In der DDR?

Und was die dritte angeht: Herr Stadler von der FDP hat es in der oben genannten Lesung sehr gut auf den Punkt gebracht: "Allein -- uns fehlt der Glaube." Diese Sperrmaßnahmen sind absolut geeignet, großflächig das Internet zu zensieren. Und wenn diese Sperren erst einmal geschaffen worden sind, wird man sie frei Schnauze einsetzen. Warum sollte das hierzulande anders laufen als in Dänemark, Australien oder Finnland... das sind ja nun auch keine totalitären Bananenrepubliken? In Finnland waren übrigens bis auf <1% mit wirklicher Kinderpornographie und möglicherweise 2-3% grenzwertigem Material -- je nach Definition -- alle auf der Sperrliste enthaltenen Seiten legal. Dazu kamen noch einmal < 5% Seiten mit minderjährigen Models, bei denen aber keine Nacktheit oder gar sexuelle Handlungen im Spiel waren. Und noch einmal 8% Seiten, die nicht mehr online sind und daher nicht überprüft werden können. Aber selbst wenn wir vermuten, dass diese 8% alle kinderpornographische Inhalte hatten (was sehr, sehr unwahrscheinlich ist), bedeutet das, dass Finnland zu mindestens 85% legale Seiten sperrt! Die Vorratsdatenspeicherung wird ja nun wohl auch nicht so restriktiv genutzt wie es uns damals versprochen worden ist. Das riecht nach Lobbyarbeit am Werk: mal sehen wann PirateBay auf der Liste landet.

Aber niemand hat vor, das Internet zu zensieren; und es geht ja nur um Kinderpornographie?

Ist klar, Frau Noll Free Smiley Courtesy of www.millan.net.

Der Pantoffelpunk hatte auf pifo.biz bis vor drei Tagen eine Satireseite gehostet, die man mit einer beliebigen Url aufrufen konnte, die dann "scheinbar" vom BMI gesperrt wurde. Offenbar hat das im Innenministerium irgendwem nicht gefallen, denn jetzt kommt der Knaller: das BMI hat beim Hoster der Seite verlangt, dass diese Seite vom Netz genommen wird ... und der Hoster hat dem Folge geleistet. Vorgebliche Begründung: Nachahmung der Seite des BMI. Komisch, die sieht doch ganz anders aus? Und die Inhalte auf der Satireseite findet man nie im Leben auf der Seite des BMI, das auch ganz sicher nicht unter pifo.biz zu erreichen ist. Wie bitte kann denn so etwas die BMI-Seite nachahmen? Da hat irgendein humorfreier Beamtenschnarchnasenseppel sich ans Bein gepißt gefühlt und nicht verstanden, was Satire ist -- oder das Thema der Satire ging ihm gegen den Strich. Und wenn mir jemand mit der "Würde" des BMI kommt... die flog spätestens aus dem Fenster als Schäuble Innenminister wurde.

Und so fängt es an: wenn das keine Zensur ist, dann weiss ich auch nicht. Das, was in unserem tollen Rechtsstaat angeblich nicht möglich sein soll. Und sehr seltsam: in solchen Fällen reicht ein formloser Brief, der noch nicht einmal von einer Polizeibehörde oder einem Gericht stammt aus, um die entsprechende Seite vom Netz zu nehmen. Warum geht das denn bei Kinderporno-Seiten nicht, so daß man die hinter einem Vorhang verstecken muß, anstatt sie vom Netz zu nehmen? Carechild hat bewiesen, dass das sogar international funktioniert ... und wenn eine private Organisation das hinbekommt, sollte es für unsere wackeren Streiter im BMI und anderswo doch ein Leichtes sein, das gleiche zu tun?